Anbei ein Zeitungsartikel der Aachner Zeitung vom 12.06.2023
Nachdem ein Anwohner das geplante Dorfhaus infrage gestellt hat, reagieren Schützen, Maibrauchtum und Co.
Scherberger Vereine stellen sich Kritik
Sie setzen sich gemeinsam für das Dorfhaus ein (v.l.): Helmi Graf, Manfred Graf, Sebastian Schwandtner, Karl-Jürgen Schmitz, Daniel Cohnen und Daniela Rößler-Cohnen. Foto: Jan Mönch
VON JAN MÖNCH
Würselen Die Geschichte des Scherberger Schützenheims, wie man es heute kennt, geht auf das Jahr 2011 zurück. Damals schloss die Gaststätte Alt Scherberg an der Ecke Südstraße/Paulinenstraße. Das Lokal hatte den St.-Hubertus-Schützen genau wie anderen ortsansässigen Vereinen eine Heimat geboten, und dieser Heimat sahen sie sich damals beraubt. Also richtete der Blick der Schützen sich auf die Wiese östlich des alten Armada-Sportplatzes, gelegen am Rande des Wurmtals. 2012 wurde der Hochstand gebaut. Später folgte das kleine Vereinsheim, das bis heute dort steht. Wenn man so will, hatten sich die Schützen selbst eine neue Heimat geschaffen.
Und die will man sich schon sehr bald mit den anderen Scherberger Ortsvereinen teilen. Wie bereits vor einigen Monaten publik gemacht wurde, soll ein multifunktionales Dorfhaus mit Mehrzweckhalle und Schießstand entstehen. Die Politik hat
zu diesem Zweck eine halbe Million Euro im Haushalt vormerken lassen. Karl-Jürgen Schmitz, der seine Aufgaben als Brudermeister der Schützen kürzlich in jüngere Hände gelegt hat, sich aber weiter im vereinseigenen Bauausschuss engagiert, rechnet damit, dass der Stadtrat im Spätsommer eine definitive Entscheidung fällen wird, ob der Zuschuss auch tatsächlich gewährt wird. Mit der Umsetzung
könnte, wenn aus Vereinssicht alles optimal läuft, im kommenden Frühjahr begonnen werden.
Zuletzt hatte es jedoch Kritik an dem Projekt gegeben. Bernhard Leidner, ein Anwohner der Südstraße, stört sich zum einen am Standort im Landschaftsschutzgebiet, das zudem von einem Naturschutzgebiet eng umgeben ist. Und zum anderen daran, dass das Projekt zu einem Großteil aus Steuergeld finanziert werden soll. Dabei stießen Schützen und Jungenspiel „bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Gleichgültigkeit“, schrieb er an Bürgermeister und Ratsfraktionen.
Die Grünen reagierten, indem sie „Experten“ aus überregionalen Parteikreisen zu Rate zogen. Die CDU betonte, dass sie dennoch voll hinter dem Ansinnen der Vereine stünden. Und die UWG antwortete Leidner, man sehe das Projekt „ebenfalls kritisch“, werde sich aber erst dann intensiv damit befassen, sobald konkrete Pläne
vorliegen. Unsere Zeitung berichtete ausführlich.
Bei den Scherberger Ortsvereinen war man davon naturgemäß nicht gerade begeistert, sieht sich und das Projekt diskreditiert. Und will sich umso mehr der Kritik stellen.
Zum Gespräch im Schützenheim empfangen gemeinsam mit Schmitz Helmi Graf und Daniela Rößler-Cohnen von der Vereinigung der Frauen und Mütter, Manfred Graf und Sebastian Schwandtner von den Schützen und Daniel Cohnen, Geschäftsführer des Verein zur Förderung des Scherberger Maibrauchtums. Daneben gehört auch das Scherberger Königsspiels zu den Vereinen, die sich das Dorfhaus
dringend wünschen. Nach eigenen Angaben kommen sie zusammen auf fast 600 Mitglieder. Rechnet man deren Familien hinzu, sei man rasch deutlich im vierstelligen Bereich an Scherbergern, die direkt von dem Dorfhaus profitieren würden. Zudem würde man gern die Scherberger Altenstube reaktivieren, deren Tätigkeiten aufgrund der nicht mehr vorhandenen Versammlungsmöglichkeit in den
vergangenen Jahren praktisch zum Erliegen gekommen sind.
Das Ende anderer Ortsvereine, als Beispiel seien der Taubenzüchterverein, der Kirchenchor St. Marien oder der TV Scherberg genannt, haben die Scherberger noch deutlich vor Augen. Im Ort schätzt man sich einerseits glücklich, dennoch auf ein reges Vereinsleben zu blicken. Sieht das aber mittelfristig in Gefahr. Was
auch mit Blick auf die Jugend fatal wäre. „Das Vereinsleben hat einen hohen integrativen Wert. Nirgendwo gibt es so viel Basisdemokratie“, sagt Karl-Jürgen Schmitz.
Die entscheidende Frage lautet nun: Sollte eine Stadt wie Würselen mit ihrer deutlich angespannten Haushaltslage sich das eine halbe Million Euro kosten lassen? „Wir sprechen hier nicht von Kleingeld, das ist richtig“, so Schmitz, der auch als Vorsitzender der CDU-Fraktion im Würselener Stadtrat sitzt. „Aber das muss man
in Relation sehen. Schon die Umwandlung eines Naturrasenplatzes in einen Kunstrasenplatz kostet 700.000 bis 800.000 Euro. Und wir haben schon viele umgewandelt.“ Und selbst das ist nur ein Bruchteil der Kosten, auf die etwa das neue Jupp-Derwall-Stadion an der Kauseneichsgasse gekommen ist.
Und auch den möglichen Eindruck, die Vereine scherten sich nicht darum, dass der für das Dorfhaus in Rede stehende Bereich ökologisch geschützt ist, möchte man nicht auf sich sitzen lassen. Richtig sei vielmehr, dass die Schützen ihn seit 2011 deutlich aufgewertet hätten, etwa durch das Pflanzen von Hecken und Obstbäumen. Die Setzlinge für die Hecken habe man seinerzeit übrigens von den Grünen geschenkt bekommen, merkt Schmitz mit einer Spur Süffisanz an. „Unser Festzelt steht schon seit den 70ern hier“, ergänzt Daniel Cohnen. „Wenn es abgebaut ist, ist der Bereich mehr als aufgeräumt. Da bleibt rein gar nichts liegen.“
Als die Schützen nach 2011 ihre Heimat an den Rande des Wurmtals verlegten, mussten sie dazu einiges an Bürokratie abhandeln. Man habe ein Bodengutachten, ein Artenschutzgutachten und einen landschaftspflegerischen Begleitplan in Auftrag gegeben, rekapituliert Karl-Jürgen Schmitz. „Wir stürzen uns da jetzt also
nicht in irgendein Abenteuer.“ Denn keine der genannten Expertisen habe dem Benehmen der Unteren Naturschutzbehörde im Wege gestanden. Und so sei man guter Dinge, dass auch das Dorfhaus entstehen kann und darf. „Übrigens war hier bis in die 60er Jahre eine Müllkippe. Wir sitzen auf einer fünf Meter dicken Schicht
Abfall, die von 80 bis 100 Zentimetern Muttererde bedeckt ist. Und nicht auf einem hochwertigen Moor.“ Daneben sei es unter anderem dem Engagement einiger Schützen zu verdanken, dass vor Jahrzehnten der Bau der sogenannten Wurmtalautobahn verhindert wurde, die heute, ausgerechnet, circa 80 Meter hinter
dem Grundstück von Bernhard Leidner verlaufen würde.
Und schließlich ist da die Behauptung des Nachbarn, das Brauchtum sei vielen Scherbergern egal. Die Vereinsmitglieder machen im Rahmen des Gesprächs im Schützenheim kein Geheimnis daraus, dass die Aussage sie durchaus getroffen hat – und sie fest vom Gegenteil überzeugt sind. „Wenn Kirmes ist, sind die Häuser
stärker geschmückt als in der Innenstadt“, sagt Daniela Rößler-Cohnen. „Das Brauchtum hat in Scherberg einen hohen Wert.“
Wenn man sich auch geärgert haben mag: Böse ist man Bernhard Leidner bei den Vereinen offenbar nicht. Zum Jungenspiel in der kommenden Woche soll er persönlich eingeladen werden.